Als erster in der deutschen Philosophie betonte Immanuel Kant in seiner "Kritik der Urteilskraft" (1793) die " zwecklose Zweckmäßigkeit" des Schönen und das " interessenlose Wohlgefallen" bei seiner Betrachtung und Wahrnehmung. " Ein jeder muss eingestehen, dass dasjenige Urteil über Schönheit, worin sich das meiste Interesse mengt, sehr parteiisch und kein reines Geschmacksurteil ist." Goethe und Schiller schlossen sich der Kant`schen Definition an. So sagt Goethe " Das Schöne ist eine Manifestation geheimer Naturgesetze, die uns ohne dessen Erscheinung ewig wären verborgen geblieben" und erklärt an anderer Stelle den Unterschied zwischen der Schönheit der Naturgegenstände und der Schönheit eines Kunstgebildes: " Die Natur ist schön, bis an eine gewisse Grenze. Die Kunst ist schön durch ein gewisses Maß. Die Naturschönheit ist den Gesetzen der Notwendigkeit unterworfen, die Kunstschönheit den Gesetzen des höchstgebildeten menschlichen Geistes, jene scheint uns darum gleichsam gebunden, diese gleichsam frei."
Reclam wirbt auf der Rückseite des vorliegenden Büchleins mit folgendem Satz für das Produkt: " Die 50 schönsten und berühmtesten Liebesgedichte der deutschen Literatur, vom Falkenlied des Kürenbergs aus dem 12. Jahrhundert bis zu den Gedichten von Sarah Kirsch und Ulla Hahn."
Schließt man sich Kants Definition des Schönen an, ist es nicht notwendig zu hinterfragen, ob es sich bei diesen Gedichten tatsächlich um die schönsten handelt, bzw. ob diese Gedichte nun auch wirklich schön sind, denn man weiß es sind immer nur höchst parteiische Werturteile über die zu diskutieren nur zänkisch veranlagte Menschen Freude finden. Lässt man Kants Satz auf sich wirken, erkennt man, dass jede Form von Beckmesserei nicht angebracht , sondern bloßer Ausdruck von Kleingeistigkeit ist. Wer aber möchte schon als kleingeistig gelten?
Hans Wagner legt bei seine Gedichtsauswahl ein verstärktes Gewicht auf die Liebeslyrik des 20. Jahrhunderts und begründet dies damit, dass diese Lyrik dem Leser näher stünde als früherer Epochen. Dies hindert ihn allerdings nicht Gedichte von Walter von der Vogelweide, Paul Fleming, Klopstock und vielen anderen ebenfalls vorzustellen. Legte Heinrich Heine noch Wert auf die Balance sentimentaler Innerlichkeit und ironischer Distanz, wird sich später primär Illusionslosigkeit und die Reduktion der Gefühle in Liebesgedichten niederschlagen. Die Liebe scheint nun vom Alltag zerrieben zu werden. Jetzt werden verstärkt Einsamkeit, Verlassenheit und Untreue thematisiert.
Können solche Liebesgedichte noch schön sein? In Wagners Augen aber auch in meinen sehr wohl. Beurteilen sie jedoch bitte selbst. In meiner Rezension zu Brecht-Gedichten habe ich dessen " Die Liebenden" bereits vorgestellt und möchte den Inhalt ebensowenig wiederholen wie Rilkes "Liebes-Lied", das ebenfalls von mir bereits thematisiert worden ist. Diese beide Gedichte gehören zu meinen persönlichen Favoriten.
Wagner weist darauf hin, dass mittlerweile ebenso viele Frauen , wie Männer Liebesgedichte schreiben. Dies war leider nicht immer so. Folgendes Gedicht einer Frau möchte deshalb ich an dieser Stelle vorstellen, es aber deshalb keineswegs über die andere 49 Gedichte erheben.
Ein Liebeslied
Komm zu mir in der Nacht- wir schlafen engverschlungen
Müde bin ich sehr, vom Wachen einsam.
Ein fremder Vogel hat in dunkler Frühe schon gesungen,
Als noch mein Traum mit sich und mir gerungen.
Es öffnen Blumen sich von allen Quellen
Und färben sich mit deiner Augen Immortellen...
Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternenschuhen
Und Liebe eingehüllt spät in mein Zelt.
Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen.
Wie wollen wie zwei seltene Tiere liebesruhen.
Im hohen Rohre hinter dieser Welt.
Elke Lasker-Schüler( 1869-1945)
Schön, nicht wahr?
Im Anschluss an die 50 Gedichte findet sich ein Verzeichnis der Autoren und Druckverlage, das ihnen Vorschläge zu Weiterlesen unterbreitet.
Kurze Bemerkung zum Schluss: Gut gewählt ist das Motiv auf dem Buchdeckel: "Der Kuss" von Gustav Klimt! Ist doch ein Liebesgedicht schließlich ein gedanklicher Kuss, der den erhofften tatsächlichen vorwegnimmt.
Empfehlenswert.
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