Diese Jubiläumsausgabe sämtlicher Gedichte und Balladen Schillers basiert auf dem Band 1 der Frankfurter Schillerausgabe im Deutschen Klassikverlag. Ich verzichte bei meiner Rezension bewusst auf langatmige theoretische Betrachtungen des sogenannten "Sturm und Drang" und der "Klassik" , sondern möchte das Buch in erster Linie von den darin enthaltenen Versen her beschreiben, auf deren konkreten gedanklichen Inhalt es dem potentiellen Leser vermutlich primär ankommen wird. Die Gedichte sind von ihrem Erscheinungsdatum her aufgelistet.
Die frühe Dichtung Schillers steht unter dem Einfluss Klopstocks. Sie ist pathetisch und spekulativ. Im späteren poetischen Werk des Dichters dominiert das philosophisch-reflexive Element. Die meisten Balladen kennt man aus Schülerzeiten noch und darf sich an den Textinhalten erneut erfreuen oder sich auch darüber ärgern, wenn Schiller , nicht selten vermeintlich besserwisserisch und moralisierend, mit viel Pathos, wortgewaltig daher kommt und man unter einer Flut von Buchstaben zu ersticken glaubt. Immer wieder habe ich nach überzeugender Poesie in Schillers Dichtung gesucht und mir dabei den Vergleich mit Goethe verboten. Jeder der beiden Meister sollte für sich stehen.
Nach wie vor bin ich begeistert von der Ballade "Die Kraniche des Ibycus", deren Inhalt von dramatischer Grundstruktur ist und deren Grundgedanke eine ethische Idee ist, die über die Balladenhandlung dem Leser nahe gebracht wird. Die freie Übersetzung des zweiten Buchs der Aeneide "Die Zerstörung von Troja" , lässt erkennen , dass Schiller zu recht als Genie bezeichnet wird. Seine lyrischen Reflexionen " Das Ideal und das Leben" verstärken diesen Eindruck. Es folgen eine Reihe so genannter Votivtafeln. Dort hat mich die Sentenz 17 "Das eigne Ideal" / "Allen gehört, was Du denkst, dein eigen ist nur was du fühlest. Soll er dein Eigentum sein, fühle den Gott, den du denkst"/ besonders aufmerken und nachdenklich werden lassen. Schillers Gedicht über die "Würde der Frauen" aber auch Passagen aus "Die Glocke" wurden in den literarischen Salons intellektueller Damen seiner Zeit, wie etwa Dorothea Schlegel, mit Skepsis betrachtet bzw. sogar verspottet.
Einen wirklich lyrischen Schiller lernt man im Gedicht "Kassandra" kennen, aus dem ich zwei Verse zitiere:
" Meine Blindheit gib mir wieder/ Und den fröhlich dunklen Sinn,/ nimmer sang`ich freud`ge Lieder,/ Seit ich deine Stimme bin./ Zukunft hast du mir gegeben,/Doch du nahmst den Augenblick,/Nahmst der Stunde fröhlich Leben,/Nimm dein falsch Geschenk zurück."/ ...und einige Verse danach: / " Fröhlich seh`ich die Gespielen,/ Alles um mich lebt und liebt/ In der Jugend Lustgefühlen,/ Mir nur ist das Herz getrübt./ Mir erscheint der Lenz vergebens,/ Der die Erde festlich schmückt,/ Wer erfreute sich des Lebens,/Der in seine Tiefen blickt!"/ Hier beschreibt sich Schiller meinens Erachtens offenbar selbst und man fängt an zu begreifen, versöhnt sich gar mit ihm, weil man jetzt endlich einen völlig neuen Zugang zu ihm hat.
Wenn er ihm Rahmen seiner "Laura-Gedichte" schließlich erklärt: Deine Blicke - wenn sie Liebe lächeln,/ Könnten leben durch den Mamor fächeln,/ Felsenadern Pulse leih`n/ Träume werden um mich her zu Wesen/ Kann ich nur in Deinen Augen lesen: Laura, Laura, mein!/..... dann beginnt man schließlich zu erkennen, Schiller hätte durchaus auch eine Vielzahl lyrisch überzeugender Verse schreiben können, wenn er nicht die Grundauffassung gehabt hätte."Allen gehört, was du denkst, dein eigen ist nur, was du fühlst."
Jetzt kann man sich beruhigt seinen philosophischen Gedichten zuwenden , sich von der gedanklichen Vielfalt und Tiefe beeindrucken lassen und sich schließlich in "Das Verschleierte Bild zu Sais" vertiefen, wo der Dichter zum Ausdruck bringt, dass die Wahrheit nur verschleiert von Menschen ertragen werden könne.
In seinem Gedicht "Die Götter Griechenlands" zeigt Schiller, dass er von der Schönheit und Sinnesfreudigkeit der griechischen Welt ergriffen ist und macht das Christentum für den Untergang der griechischen Welt verantwortlich.
Der Inhalt des gedanklich sehr abstrakten Gedichts "Die Künstler" verdeutlicht, dass letztlich nur die Kunst dem Menschen die in Schönheit gehüllte Wahrheit zugänglich machen könne. Nur durch Kunst werden die Naturkräfte und -triebe gesittigt, deshalb ist Kunst Anfang und Ende aller Kultur. In seinem Gedicht " An die Freude" - jeder kennt es aus Beethovens 9. Symphonie - / Seid umschlungen Millionen!/ Dieser Kuss der ganzen Welt!/ weist Schiller darauf eindringlich hin , dass die Liebe die Triebkraft der natürlichen wie der geistigen Welt verkörpert. Durch die Liebe treten die Geschöpfe aus der Vereinzelung heraus und kommen zum Bewußtsein des Ganzen, d.h. Gottes. Dieser Gedanke spiegelt sich auch in Schillers Hymne " Der Triumph der Liebe " , die mit dem Vers beginnt:
Selig durch die Liebe
Götter durch die Liebe
Menschen Göttern gleich!
Liebe macht den Himmel
Himmlischer- die Erde
Zu dem Himmelreich.
So ist in Schillers Augen das Paradies demnach noch nicht verloren. Der Schlüssel hierzu ist die Liebe, von der er sagt "Liebe du mächtige knüpfst den Olympus, die Erde zusammen." Diese Liebe spricht aus ihm, wenn er zu Laura sagt "Deine Seele gleicht der Spiegelwelle/ Silberklar und Sonnenhelle/... und an anderer Stelle/ Zwei Gestirn`, in Körper Körper wachsen,/ Mund an Mund gewurzelt brennt/ Wollustfunken aus den Augen regnen/ Seelen wie entbunden sich begegnen/ in des Atems Flammenwind."
Nach der Lektüre dieses Buches werden Sie vom lyrischen Schaffen Schillers begeistert sein und vielleicht noch eine Weile über eine seiner Sentenzen nachdenken: "Wahrheit: Eine nur ist für alle, doch siehet sie jeder verschieden. Das es Eines doch bleibt, macht das verschiedene wahr."
Empfehlenswert!
Helga König
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