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Rezension: Briefe bewegen die Welt- Hellmuth Karasek

"Briefe bewegen die Welt" ist das zweite Buch der Herausgebers Hellmuth Karaseks, das Briefe namhafter Persönlichkeiten vorstellt. Diesmal sind es 22 Briefe, aus denen Liebe, Schicksal und Leidenschaft zu entnehmen sind, wie der Klappentext es zumindest verspricht.

Nach einem Vorwort von Jürgen Gerdes, dem Konzernvorstand "Brief Deutsche Post DHL", reflektiert Karasek in der Einleitung das Wesen von Briefen, die - nicht nur für ihn - neben Tagebüchern, die persönlichsten und privatesten Äußerungen und Entäußerungen von Menschen sind, welche sie schriftlich zum Ausdruck zu bringen vermögen.

Karasek schreibt an einer Stelle seines Vorwortes sehr zutreffend: "Briefe enthalten oft Wahrheiten, die für zwei bestimmt sind und die festhalten, was längst nicht mehr wahr sein muss." Genau diese Tatsache lässt mich stets nur zögerlich in Büchern veröffentlichte Briefe lesen, weil ich das Gefühl habe, etwas Unrechtes zu tun, wenn ich ohne Einverständnis der Schreiber mich der Texte bemächtige.

Unveröffentlichte Briefe Dritter würde ich niemals lesen, auch beim Lesen der Briefe hier in diesem Buch bleibt ein schaler Beigeschmack. Namhafte Persönlichkeiten müssen davon ausgehen, dass nach ihrem Tode ihr Briefwechsel veröffentlicht wird, sofern sie Gegenteiliges nicht schriftlich niederlegen. Insofern kann man ein wie auch immer geartetes Einverständnis mithin voraussetzen, beruhige ich mich. Ganz wohl ist mir nicht dabei.

Karasek veröffentlicht im Vorwort einen Brief an seine Eltern und erläutert diesen. So privat wie dieser Brief vordergründig erscheint, ist er allerdings nicht, denn es handelt sich um einen "Persilschein", der seine Eltern exkulpieren sollte, weil er, damals als junger Student, in den Westen geflüchtet ist. Karasek treibt also mithin keinen Verrat an seinen lange verstorbenen Eltern.

Jeweils eine Seite jedes einzelnen Briefes ist auch handschriftlich abgedruckt. Das gefällt mir sehr gut, weil mir die Schrift mehr über die Persönlichkeit des Schreibers verrät als die niedergeschriebenen Worte. Den Inhalt der einzelnen Briefe kann man dann in der Folge lesen. Ferner erhält man Informationen über die Beziehung des Absenders und Empfängers. Kurzbiographien von Absender und Empfänger sind auch vorhanden und Fotos ebenfalls.

Mich haben die Liebesbriefe am meisten berührt und hier vor allem der Brief Ingeborg Bachmanns an Paul Celan. Bachmann ist voller Rücksichtnahme im Hinblick auf die Ehefrau Celans. "Du darfst sie und Euer Kind nicht verlassen" (...) und im gleichen Brief (...) "Wenn Du Ende November kommen könntest. Ich wünsche es mir", (Zitat: S.: 17). Diese Zerrissenheit zwischen Verantwortung gegenüber anderen Menschen und der Liebe zu einer Person, die man sich besser aus dem Herzen reißen sollte, berührt mich außerordentlich.

Ganz anders schreibt Marlene Dietrich an Erich Maria Remarque (...) "Ich schreibe Dir, weil ich akute Sehnsucht nach Dir habe - nicht die, die ich sonst habe." (Zitat: S.25). So schreibt eine sehr selbstbewusste Frau, die sich ihrer Sinnlichkeit und ihrer Anziehungskraft völlig bewusst ist und offenbar ausspricht, was sie fühlt. Sehr gut wird die Beziehung zwischen den beiden Emigranten erläutert. Die Beziehung soll stürmisch aber schwierig gewesen sein. Mein Eindruck ist, dass die beiden vortrefflich zueinander gepasst haben, weil sie aus gleichem Holz waren.
Heines Brief an seine Mutter zeigt durch wenige Worte, wie sehr er sie liebte.

Um tatsächliche Liebe oder Zuneigung werden bekanntnermaßen selten viele Worte gemacht, deshalb auch hat mich der schlichte Brief, den Jimi Hendrix an Uschi Obermaier schrieb, sehr berührt. "Aber die Gedanken an Dich sind sehr lebendig. Und vielleicht auch die Gefühle. Sogar meinen eigenen Gefühlen zu trauen, fällt mir schwer. Ständig werde ich verletzt. Aber bei Dir spüre ich etwas Echtes" (...) und weiter(...) "Ich wünschte, ich hätte mit Deinen Freunden bei Dir im Haus mehr gesprochen. Aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte - Ich mag sie." (Zitat: Seite 105).
Hier schreibt ein sehr sensibler Mann, der fühlt, dass die schöne Frau, in die er sich verliebt hat, es ehrlich mit ihm meint und er will ihr sagen, dass er sie in seiner Gesamtheit mit ihren Freunden akzeptiert und nicht nur ihren Körper, wenn er von seiner Zuneigung spricht.

Jeder einzelne der im Buch ausgewählten Briefe ist sehr aussagestark, vielleicht hat mich der Brief von Claudia Kotter an Jürgen Vogel und die damit einhergehende Geschichte am nachhaltigsten beeindruckt, weil hier deutlich wird, wie sehr Menschen einander wirklich helfen können, wenn sie empathiefähig sind.
Empfehlenswert.
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Rezension: Die schönsten Frühlingsgedichte

In unserer virtuellen Welt spielen die Jahreszeiten für viele Menschen emotional betrachtet nur noch eine sekundäre Rolle. Frühlingsgefühle werden als Kitsch abgetan, alles Bunte wird in dieser Welt müde und "cool" belächelt, für die eine Dichterin wie Else Laske-Schüler mit ihren Gedanken so fremd ist wie ein ferner Stern.

Maienregen

Du hast deine warme Seele
Um mein verwittertes Herz geschlungen,
und all seine dunklen Töne
Sind wie ferner Donner verklungen

Aber es kann nicht mehr jauchzen
Mit seiner wilden Wunde,
Und wunschlos in deinem Arme
Liegt mein Mund auf deinem Munde

Und ich höre dich leise weinen,
Und es ist- die Nacht bewegt sich kaum-
Als fiele ein Mairegen
auf meinen greisen Traum.
(siehe S. 198)

Lassen Sie den Text ein paar Minuten auf sich wirken. Kennen Sie solche Gefühle?


Das ist eines der vielen Frühlingsgedichte in diesem Buch, welches der Herausgeber Michael Adrian in folgende Kapitel untergliedert hat:

1. Die linden Lüfte sind erwacht
2. Die Welt, ein Frühlingstraum
3. Es liebt sich so lieblich im Lenze
4. Es ist die Nachtigall die ganz lange gesungen
5. Es ist ein tiefes Frühlingsschauern als wie ein Auferstehungstag
6. Lustig leuchtet der Mai
7. Doch lächelnd stirbt der holde Lenz dahin

Die ausgewählten, rund 150 Gedichte sind von namhaften Dichtern verfasst worden. Zu diesen gehören u.a.: Johann Wolfgang von Goethe, Joseph von Eichendorf, Theodor Fontane, Clemens von Brentano, Nikolaus Lenau, Ludwig Uhland, Matthias Claudius, Novalis, Rainer Maria Rilke, Heinrich Heine, Karl Krolow, Mascha Kaléko und andere mehr.

Allen Dichtern gemeinsam ist, dass sie die emotionale Beschwingtheit, die sich bei poesiebegabten Menschen dann, wenn die Natur erwacht, nicht selten mit Melancholie mischt und allgemein als Frühlingsgefühl bezeichnet wird, sprachlich exzellent zum Ausdruck bringen können.

Heinrich Heine bringt dies in einem Vers eines seiner Frühlingsgedichte sehr schön auf den Punkt:

"Mein Herz, mein Herz ist traurig,
Doch lustig leuchtet der Mai;
Ich stehe, gelehnt an der Linde,
Hoch auf der alten Bastei."
(siehe S. 193)

Die vielen Gedichte im Rahmen einer Rezension zu interpretieren, ist nicht möglich und es wäre vermessen eines der Gedichte zum schönsten Gedicht des Buches zu küren, denn jedes ist auf seine Art ein kleines Meisterwerk.

Nicht in alle sprachlich zum Ausdruck gebrachten Seelenbilder der im Buch veröffentlichten Dichter kann ich mich in gleicher Weise einfühlen. Heinrich Heine löst sofort Resonanz bei mir aus. Vielleicht geht es Ihnen ja ähnlich:


In meiner Erinnerung
Die Bilder, die längst verwittert-
Was ist in deiner Stimme,
Das mich so tief erschüttert?

Sag nicht, dass du mich liebst!
Ich weiß, das Schönste auf Erden,
Der Frühling und die Liebe.
Es muss zu Schanden werden.

Sag nicht, das du mich liebst!
Und küsse nur und schweige
Und lächle, wenn ich dir morgen
Die welken Rosen zeige.
(siehe S. 108)
Dieses Buch empfehle ich sehr gerne.

PS: Zu Ende des Buches sind die Nachweise der einzelnen Gedichte aufgelistet.

Rezension: Mit Ringelnatz ans Meer

Der Lyriker Joachim Ringelnatz (7.8.1883- 17.11.1934) war u.a. Schiffsjunge und Matrose. Vor allem in München und Berlin trug er als Kabarettist seine eigenen, aus Absurdem und Tiefsinn, antibürgerlichem Protest, Groteske und Satire gemischten Gedichte im Moritaten- und Bänkelsangton vor.

Das Gedichtsbändchen enthält 25 seiner Gedichte, die Lust aufs Meer machen sollen. Diese Gedichte werden von Meer- und Strandfotos begleitet, auf denen u.a. Segelschiffe, ein hübsches Panoramabild von Hiddensee, ein Strandkorb, auf dem eine Möwe thront, eine lesende, barocke Strandschönheit, ein Seepferdchen, ein Leuchtturm, aber auch Kinder zu sehen sind. Die Bilder korrespondieren mit den Gedichten, die all jene, die Ringelnatz-Gedichte noch nicht kennen, gewiss neugierig auf diesen Lyriker machen.

Tiefsinn lässt der letzte Vers seines Gedichtes Segelschiffe erkennen: "Es rauscht wie Freiheit. Es riecht wie die Welt./Natur gewordene Planken/Sind Segelschiffe.- Ihr Anblick erhellt/Und weitet unsere Gedanken" (S.4). Sein Gedicht "Kindersand" finde ich ebenfalls sehr nachdenklich. Seine Verse, die den Seemann Kuttel Daddeldu thematisieren sind ämüsant.

Von den 25 Gedichten möchte ich das Gedicht mit dem Titel "Seepferdchen" wiedergeben, weil ich es für besonders phantasievoll halte und weil ich meine, dass es viel über den Menschen, der es verfasste, zum Ausdruck bringt.
Seepferdchen

Als ich noch ein Seepferdchen war,
Im vorigen Leben,
Wie war das wonnig, wunderbar
Unter Wasser zu schweben.
In den träumenden Fluten
Wogte, wie Güte, das Haar
Der zierlichsten aller Seestuten,
Die meine Geliebte war.
Wir senkten uns still oder stiegen,
tanzten harmonisch umeinand,
Ohne Arm, ohne Bein, ohne Hand,
Wie Wolken sich in Wolken wiegen.
Sie spielte manchmal graziöses Entfliehn,
Auf dass ich ihr folge, sie hasche,
Und legte mir einmal im Ansichziehn
Eierchen in die Tasche.
Sie blickte traurig und stellt sich froh,
Schnappte nach einem Wasserfloh,
Und ringelte sich
An einem Stängelchen fest und sprach so:
Ich liebe dich!
Du wieherst nicht, du äpfelst nicht,
Du trägst ein farbloses Panzerkleid
Und hast ein bekümmerstes altes Leid.
Seetütchen! Schnörkelchen, Ringelnass!
Wann war wohl das?
Und wer bedauert wohl später meine restlichen Knochen?
Es ist beinahe so, dass ich weine-
Lollo hat das vertrocknete, kleine
Schmerzverkrümmte Seepferd zerbrochen.


Empfehlenswert.


Bild: ©TunavB


Rezension: Gedichte mit Kunstwerken ihrer Zeit

Dieses wunderschöne Buch enthält Gedichte von Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Heinrich Heine und Rainer Maria Rilke. Diese Gedichte werden von zauberhaften Blumen- und Landschaftbildern begleitet, so dass das Buch in seinem Gesamtkonzept an ein Poesiealbum erinnert.

Gemälde und Aquarelle von Caspar David Friedrich, Heinrich Wilhelm Tischbein, Johann Ferdinand Waldmüller, Philipp Otto Runge, Carl Spitzweg, Gustav Klimt u.a. sorgen beim Leser dafür, sich in die Stimmung der Gedichte einzufinden. Goethes Liebesgedichte, auch seine Naturgedichte korrespondieren sehr gut mit den ausgesuchten Gemälden, wie etwa Caspar David Friedrichs "Auf dem Segler" oder "Der Mönch am Meer".

Tischbeins Gemälde "Goethe am Fenster der Römischen Wohnung am Corso" von 1787 wurde seinem Gedicht "Die Musageten" zugeordnet. Seine Frühlings- und Herbstgedichte haben auch den geeigneten Rahmen gefunden.

Vor einigen Zeit habe ich mich mit Schillers Lyrik ausführlich befasst und finde, dass die im Buch vorgestellten Gedichte eine gute Auswahl verkörpern. Mein Lieblingsgedicht fand ich auf Seite 49 abgedruckt. Ich erlaube mir den letzten Vers daraus hier zu zitieren:

"Deine Blicke- wenn sie Liebe lächeln,
Können Leben durch den Marmor fächeln
Felsadern Pulse leih`n
Träume werden um mich her zu Wesen,
Kann ich nur in deinen Augen lesen:
Laura. Laura mein!"

So kann nur ein hochgradig verliebter Mann schreiben.

Schiller fragt in einem anderen Gedicht (S. 48), fast ein wenig verzweifelt:

"Kann der Liebe süß Verlangen
Emma, kann`s vergänglich sein?
Was dahin ist und vergangen
Emma, kann`s die Liebe sein?
Ihrer Flamme Himmelsglut
Stirbt sie, wie ein irdisch Gut?"

Die Lyrik einer meiner Lieblingsdichter - Heinrich Heine - berührt mich dann besonders, wenn er traurige Liebesgedichte verfasst. Er weiß in vier Zeilen auf eindringliche Art seine Gefühle zu einer Frau zu formulieren:

"Ich habe dich geliebt und liebe dich noch!
Und fiele die Welt zusammen
Aus ihren Trümmern steigen doch
Hervor meiner Liebe Flammen."

Das Gedicht "Zuneigung" macht deutlich, dass dem Dichter stets die Möglichkeit bleibt, vergangene Liebesgefühle durch ein Gedicht für die Ewigkeit festzuhalten. " Verblichen und verweht sind längst die Träume,/ Verweht ist gar mein liebstes Traumgebild/...." (S.98)

Spitzwegs witzige Bilder passen sehr sehr gut zu ironischen Gedichten Heines, in denen überbordende Gefühle leicht auf die Schippe genommen werden, wie etwa hier:" Das Fräulein stand am Meere/Und seufzte lang und bang,/Es rührte sie so sehre/ Der Sonnenuntergang.".... :-))

Ein großes Lob gilt der Auswahl der wundervollen Gedichte Rilkes. Dass bei seinem Gedicht "Die Liebenden" eine Ablichtung der Skulptur "Die Liebenden" von Auguste Rodin beigefügt wurde, finde ich sehr passend.

"Sieh, wie sie zu einander erwachsen:
in ihren Adern wird alles Geist.
Ihre Gestalten beben wie Achsen,
um die es heiß und hinreißend kreist,
Dürstende, die sie bekommen zu trinken,
Wache und sieh: sie bekommen zu sehen.
Lass sie ineinander sinken,
um einander zu überstehn."
(S. 123)

Auf den letzten Seiten kann man Kurzbiografien der Dichter lesen und erfährt den Standort der Originale der im Buch abgelichteten Bilder und Skulpturen.

Ein wunderschönes Buch, das ich gerne empfehle.

Rezension: Charles Bukowski- Letzte Meldung

Der amerikanische Schriftsteller und Lyriker Charles Bukowski (1920-1994) hat einen beachtlichen Fundus an Gedichten, Fragmenten und Unvollendetem hinterlassen. Der vorliegende Band "Letzte Meldungen" hat sein Freund und Übersetzer Carl Weissner herausgegeben und sich dabei an den hohen Qualitätsanspruch Bukowskis bei der Auswahl der Gedichte gehalten, zu denen auch zahlreiche deutsche Erstveröffentlichungen zählen.

Der in Andernach am Rhein geborene Lyriker lebte seit 1922 in den USA. Die Gedichte sind mit das Beste, was ich je an Lyrik gelesen habe. Das gilt auch für sein Gedicht "Catull und seine Liebesgedichte", in dem er eine kleine, möglicherweise erfundene historische Anekdote erzählt, die mit dem Fazit endet "Besser man fängt mit einem /Flittchen an, als dass man/ mit einem endet."(S.32)

Er schreibt amüsiert über die "Gallopiernde Inflation" in den 1920er Jahren und resümiert: "Sieht so aus, als würden/nur die Nutten am Imperial/Highway überleben und sich/die Erde untertan machen."(S.49)

An anderer Stelle dichtet er von Jockeys wie Johnny, die für ihn die Tragödie des Lebens definieren und zwar mehr als der Tod von Marco Polo, Picasso oder Heinrich dem VIII. Das Gedicht, in dem er Johnny gedenkt, lässt er mit den Worten enden: "Während Kant/mumifiziert in/seinem Sarg liegt/und Mozart zu/Staub zerfällt/haut Johnny/eine Karte/ auf den/ Tisch/und ge-/winnt doch/noch ein/Spiel". (S.53) Für Bukowski findet das Leben im Jetzt und nur dort statt und er macht in allen Gedichten deutlich, dass dieses gegenwärtige Leben jenseits des schönen Scheins zu Erkenntnissen führt, die Bildung letztlich nicht zu geben vermag. "Shakespeare ist tot."....(S.55)

Berührend, seine Selbsterkenntnis und der Hinweis auch, dass er sich zwar stets mit der krassen Sprache der Unterschicht und deren Elend auseinander setzte aber letztlich anderswo her kam. "Ein Klugscheisser/ Das war ich,/ auf dem Campus.... Ich las nichts als Nietzsche und/ Schopenhauer./ Ich hatte Journalismus und Kunst belegt/und wenn wir einen Text pro Woche/schreiben sollten, gab ich sieben ab." (S. 57)

Pferde, Alkohl, Dirnen und Zocker- Männerwelten sind sein Thema, aber auch "Kleopatra mit sechzig , die einst der schönste Filmstar des Landes war und mit einem gebrochenen Rückenwirbel im Krankenhaus liegt. Man gedenkt ihrer kaum noch. Die Besucher des einst gefeierten Stars sind rar. Sie ist auf sich selbst zurückgeworfen." Was geht ihr wohl durch den Kopf;/hat sie vielleicht ihr wahres Ich/entdeckt, zu echter Einsicht/ gefunden,wenn auch vielleicht zu/spät?.../

Um Ihre Leselust anzutörnen, will ich eines der vielen Gedichte aus dem Buch zitieren. Ich finde dieses Gedicht außerordentlich gelungen, subtil, ganz nah am Leben, näher als all als das, was man in jungen Jahren so oft erzählt bekommt. Pädagogisch ist es sehr wertvoll:

Einer kam Durch

Peter war eine Missgeburt
Peter war fett, eine Dumpf-
backe, unbeholfen, er stotterte
und stolperte, die Mädchen
lachten ihn aus, die Jungs
trietzten ihn, nach dem Unterricht
musste er oft dableiben, die Brille
fiel ihm dauernd von der Nase
seine Schnürsenkel waren lose
das Hemd hing ihm hinten raus
er hatte unmögliche Sachen an
und saß immer in der hintersten
Reihe, und der Rotz lief ihm
aus der Nase.


Das war damals. In der Grundschule
und den ersten beiden Jahren
Highschool. Danach
verloren sie ihn
aus den Augen.


Heute fährt er seine teuren Autos
nie länger als ein Jahr, hat ständig
eine neue und noch schönere Freundin
trägt keine Brille mehr, ist
schlank, sieht beinahe gut aus
hat ein selbstbewusstes Auftreten
ein Anwesen in Mexiko, ein
Haus in Hollywood.
Er ist Kunsthändler, spekuliert
an der Börse, spricht
drei Sprachen. besitzt eine Jacht
und ein Privatflugzeug.
Nebenbei ist er auch noch
Filmproduzent.


Denen aus der Schulzeit
ist er ein komplettes
Rätsel. Irgendetwas
ist passiert. Aber
was, zum Kuckuck?


Die meisten Götterjünglinge
von damals, soweit sie
überlebt haben, sind krumm
und bucklig, unrühmlich ge-
scheitert, halb verblödet,
obdachlos, senil oder kurz
vor dem Tod.


Es kommt selten so
wie man denkt.
Eigentlich
nie.


Charles Bukowski ist ein Vertreter des Hier und Jetzt. Das zeigen alle seine Gedichte. Das Gedicht "Einer kam durch" macht deutlich, dass er sehr weise war und gerade deshalb so respektlos gegenüber jeglichem schönen Schein.
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Rezension: Andrea Engen - Nur nicht fühlen Jetzt

Andrea Engen lässt den Leser im Klappentext dieses auch optisch gelungenen Gedichtsbandes wissen, dass sie seit ihrem 19. Lebensjahr ihre Gedanken aufnotiert. Im Alter von 52 Jahren litt sie an Liebeskummer und schrieb "extrem und viel", wie sie sagt. Engen nahm ihre alten Aufzeichnungen zu diesem Zeitpunkt zur Hand, überarbeitete das Ein oder Andere, es entstand allerdings auch Neues und so kam es zu diesem Büchlein, das mit einer fragenden Sentenz Kurt Tucholskys beginnt: "Muss denn immer gleich von Liebe die Rede sein?"

Eine gute Frage, die ich immer mit einem Ja beantworten würde. Liebe sollte in jeder Begegnung mit einem neuen Menschen mitschwingen. Allerdings bedingt sie nicht immer ein erotisches Verhältnis und begründet schon gar nicht Besitzansprüche. Man sollte sie, in ihren unterschiedlichen Facetten stets zulassen, weil sie die Kommunikation mit unseren Gegenübern einfach schöner gestaltet.


Engens Texte berühren mich. Es ist die Poesie einer reifen Frau, die es nicht verlernt hat, intensiv zu fühlen. Von ihren alten Texten hat sie offenbar jene gewählt, zu denen sie heute noch steht. Mir ist es nicht möglich auszuloten, in welchem Alter Engen den jeweiligen Texte verfasst hat. Die Seele hat ihre eigene Sprache. Bei vielen Menschen ist sie bis ins hohe Alter unreif, bei Engen ist das Gegenteil der Fall.
Eines der schönsten Gedichte ist m.E. dieses:


Lächeln
Als ich den Hörer auflegte
Als ich dann allein war
Als ich mich erinnerte
Als ich dem Mond zugelächelt habe
Als ich nachfühlte
Als ich mich dann sehnte
Als ich also vermisste
Habe ich gelächelt.

Es gibt nur wenige junge Frauen, die zu einer solchen Selbstbeobachtung fähig sind, wenn sie Schmetterlinge im Bauch haben. Man benötigt Reife, um die eigene Emotion mit einem beinahe amüsierten Abstand zu betrachten und ein gerütteltes Maß an Selbstbewusstsein, wenn man ein Gedicht veröffentlicht, das mit den Zeilen beginnt:"Du warst auf der Durchreise/Ich in den Wechseljahren/Als wir uns das erste Mal trafen/...


Engen ist eine Frau, das geht aus all ihren inhaltlich und sprachlich schönen Texten hervor, die nicht aufgehört hat, den Moment zu genießen, die das Küssen nicht verlernt hat, trotz ihrer 53 Lenze, die immer noch mit und ohne Herzens-Du auf einem alten Parkett tanzt und die -wiederum amüsiert-, sich ihrer Lust erinnert während einer Nacht mit einem offenbar wesentlich jüngeren Mann: "Du hast mich einfach so geküsst/Hotelflurteppichboden schluckte Zweifel/Und den Altersunterschied/Dein Lachen- so frech, so jung/Ich erinnerte mich wieder an meine Lust/In dieser Nacht/..."


Neben den Texten gefallen mir auch die schönen Fotos, die von einer Frau erzählen, die den erotischen Moment zu schätzen weiß und die das Lieben nicht verlernt hat.


Empfehlenswert.

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Rezension:Fast ganz die Deine (Gebundene Ausgabe)

Die Autorin des vorliegenden, nie abgesandten Briefes wurde nur 34 Jahre alt. Marcelle Sauvageot verstarb 1934 in Davos an einem Lungenleiden. Während ihres Aufenthaltes in einem Sanatorium in Hautville schreibt sie ihrem Geliebten. Dieser hat sich überraschend für eine andere Frau entschieden, die er heiraten möchte. Das hat er Marcelle brieflich mitgeteilt. Seine Entscheidung begründet er, wie man dem Kontext ihres Briefes entnehmen kann, mit seinen Bedenken gegenüber Marcelles Stärken: ihrer Unabhängigkeit, ihren eigenwilligen Gedanken. Diese Attribute, die ihn einst an ihr faszinierten, bewertet er nun negativ.
Die kranke Frau hat Grund, sich verletzt zu fühlen und traurig zu sein. Sie reflektiert die Liebe zu diesem Mann und stellt ihn mit seinen positiven und negativen Seiten dar. Feinfühlig und intelligent sucht sie noch einmal, im Angesicht ihrer tödlichen Krankheit, gedanklich seine Nähe. Gleichwohl verliert sie an keiner Stelle ihrer eindringlichen Zeilen ihren Stolz gegenüber dem Abtrünnigen. Nachdem sie sich den Kummer von der Seele geschrieben hat, entscheidet sie sich dafür wieder fröhlich zu sein, Champagner zu trinken und sich einem neuen Augenblick zuzuwenden. So als ob ihr Leben ewig dauern würde....


Im Anschluss an den gefühlvollen, gleichwohl geistig tiefsinnigen Text hat man Gelegenheit sich mit diesbezüglichen Anmerkungen des französischen Kritikers Charles Du Bos und der Schriftstellerin Ulrike Draesner auseinander zusetzen.


Empfehlenswert!

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Rezension : Briefe bewegen die Welt

Bauchschmerzen habe ich immer dann, wenn ich Briefe von Menschen lese, die nicht an mich gerichtet sind. Selbst wenn solche Briefe einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, habe ich stets den Eindruck in die Privatsphäre von Menschen einzudringen, deren Zustimmung ich dazu nicht erhalten habe. Beim vorliegenden Buch war die intellektuelle Neugierde stärker als meine Vorbehalte. Meine Exkulpationsversuche wollten natürlich nicht greifen: "Wenn Karasek seine Neugierde auslebt, dann darf ich das auch." Nein, dann darf ich es noch lange nicht. Ich darf es nur, wenn mein Gewissen sein Einverständnis dazu gibt. Das ist allerdings nicht geschehen. Ich habe mich über mein Gewissen hinweg gesetzt, weil die abgedruckten Briefe und die Hintergrundinformationen von Hans Pöllmann und Sonja Wild mich einfach zu sehr interessieren, als dass ich meinen Grundsätzen treu bleiben könnte. Also halte ich es mit Oscar Wilde: "Mir sind Menschen lieber als Grundsätze und grundsatzlose Menschen überhaupt das Liebste auf Erden." Wie schön, Oscar Wilde mag mich ob meiner Handlungsweise. Alles ist gut.:-))

Dieses Buch enthält insgesamt 30 Briefe, mittels denen Hellmuth Karasek, er hat sie herausgegeben, bezweckt, das Leben zu zeigen.


Dem Klappentext ist zu entnehmen, dass die Briefe als hochwertige Faksimiles abgedruckt und in Druckschrift wiedergegeben sind. Man hat sie zeitgeschichtlich eingeordnet und um die Lebensläufe und Porträtbilder der Briefeschreiber und Empfänger ergänzt.

Das Vorwort hat Jürgen Gerdes, der Konzernvorstand Brief Deutsche Post DHL verfasst. Die Einleitung stammt von Hellmuth Karasek, der über den tieferen Sinn von Briefen nachdenkt und zunächst vom wohl ältesten Brief des Welt schreibt, einem 2,8 Zentimeter messenden, ein Zentimeter dicken Fragment, das etwa 3400 Jahre alt ist. Karasek weiß, dass derjenige, der an Briefe denkt, zuerst Liebesbriefe im Sinn hat, Dokumente der Vertraulichkeit und der Freundschaft, die weite Strecken überwinden müssen. Briefe dienen, so der Literaturkritiker, dem Fernverkehr, "sie überbrücken Distanz und sie schaffen Distanz", (vgl: S. 9 u.10).

Die Briefe im Buch sind von ihrem Wesen her ganz unterschiedlich. Der Briefwechsel zwischen Konrad Adenauer und Theodor Heuss aus dem Jahre 1952 ist gesellschaftspolitischer Natur. Es geht um die National-Hymne.


Otto von Bismark bittet Heinrich von Puttkammer um die Hand seiner Tochter. Wie man erfährt soll der Brautvater zögerlich reagiert haben. Doch schließlich wurde das Edelfräulein von Puttkammer seine Frau. Bismarck soll wegen seiner Ehe viele Eskapaden gehabt haben, die von Johanna geduldet wurden. Diese Hintergrundinformation verdeutlicht mir mal wieder, wie sehr sich die Gefühle von Menschen ändern können und das nichts im Leben von Bestand ist.

Es ist unmöglich im Rahmen der Rezension alle Briefe zu beleuchten, obschon es eine interessante Aufgabe wäre. Der Brief, den Friedrich der Große an Voltaire schrieb, ist in französischer Sprache und in der deutschen Übersetzung abgedruckt. Wie man liest, soll die Brieffreundschaft der beiden besser als die persönliche Beziehung gewesen sein.

Sophie Scholl schreibt ihrem Verlobten am 16.2.1943, sechs Tage vor ihrem Tod einen kleinen Brief, der so hoffnungvoll endet: "Vielleicht können wir bald zusammen irgendwo anfangen". In den Erläuterungen zum Brief liest man "Die Studentin der Biologie und Philosophie mit kaum Lebenserfahrung hatte gewusst, sie hatte 1943 alles gewusst. Ihr Beispiel zeigt: Holocaust und Kriegsverbrechen fanden nicht im Verborgenen statt."

Der Kulturphilosoph Walter Benjamin schreibt am 2.8. 1940 an "seinen lieben Teddie", gemeint ist Theodor W. Adorno aus Lourdes: "Ich bin verurteilt, jede Zeitung (..) wie eine an mich ergangene Zustellung zu lesen und aus jeder Radiosendung eine Stimme des Unglücksboten herauszuhören." Der Briefeschreiber war Opfer des Nationalsozialismus. Adorno war einer der wenigen, die das Potenzial des Denkers erfasst haben.

Sigmund Freud schreibt an den Arzt Wilhelm Fleiss, über den man im Kurzporträt Näheres erfährt, einen kleinen Brief am 15.10.1895, der beinahe wie eine Notiz anmutet. Er macht in der Notiz deutlich, dass der Mensch bereits vor der Pubertät ein sexuelles Wesen ist.

Es ist unmöglich all die Briefeschreiber zu benennen. Goethe schreibt an Schiller am 6. Januar 1798. Wie man in den Erläuterungen erfährt, haben sich die beiden Dichterfürsten gut 1000 Briefe geschrieben. Dass ohne ihre Freundschaft, die in weiten Teilen eine Brieffreundschaft war, die Weimarer Klassik nicht hätte entstehen können, ist jedem klar, der sich mit der Geschichte Weimars befasst hat.

Mir gefällt der Brief Thomas Gottschalks an Marcel Reich-Ranicki vom 7.11.1999, der sehr charmant, witzig und herzlich verfasst ist. Der Briefempfänger hat gewiss seine Freude daran gehabt.

Am meisten berührt hat mich der Brief, den Gunter Sachs an Axel Cäsar Springer schrieb. Dieser Brief, der mit den Worten endet "Herr Springer wir sind uns selten begegnet; ich möchte sie nie mehr wiedersehen", bestätigt mir, dass Gunter Sachs ein Mann mit Rückgrat ist, der es durch seine Haltung schaffte, dass bei der "Bild" ein gewisses Umdenken einsetzte.

Ich möchte es bei dem Brief von Gunter Sachs belassen, obschon alle Briefschreiber es verdienen, erwähnt zu werden. Lange habe ich das beigefügte Foto dieses Mannes angesehen, der eine Aura besitzt, die ich selten in dieser Ausprägung an Menschen wahrgenommen habe. Gunther Sachs ist ein wirklich freier Mann. Kein Blender. Er strahlt Freiheit und Offenheit aus. Nichts an ihm ist aufgesetzt. Solch ein Mann lässt sich von der Presse nicht verschrecken. Er zeigte Flagge. Diesem Menschen gilt mein Respekt.

Ein sehr schönes, hochinformatives Buch. Karasek ist es wirklich gelungen das Leben mit seinen Höhen und Tiefen durch die 30 Briefe aufzuzeigen. Bravo.

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Rezension: Tapfer lieben: Ihre persönlichen Aufzeichnungen, Gedichte und Briefe

mein Liebster schläft neben mir-
im schwachen Licht- sehe ich sein männliches Kinn
nachgeben- und den Mund seiner
Kindheit wiederkehren
eine weichere Weichheit
die Sensibilität die bebt
im Stillen
doch seine Augen müssen
wundersam geblickt haben aus dem Höhlenversteck des kleinen
Jungen- wenn das, was er nicht verstand-
vergessen ward
aber er wird so aussehen, wenn er tot ist
ach, unerträgliche unausweichliche Gewissheit
doch sähe ich lieber seine Liebe sterben
als ihn?

(Marylin Monroe, 1956)


Das vorliegende reich bebilderte Buch wurde von Stanley Buchthal und Bernard Comment herausgegeben. Es enthält persönliche Aufzeichnungen, Gedichte und Briefe der großen Hollywoodschauspielerin.

Im Vorwort erfährt man, dass im Jahr 1962 bei ihrem Tode ihr persönlicher Besitz an Lee Straßberg ging. Als dieser 1982 verstarb, ging er an seine junge Witwe Anna Strassberg weiter. Man erfährt in der Folge, wie es dazu kam, dass man sich entschied Marilyn persönliche Aufzeichnungen zu veröffentlichen.

Dem Vorwort folgt ein erhellender Essay von Antonio Tabucchi "Schmetterlingsstaub", der an einer Stelle konstatiert, dass das Bild, das Marilyn in der Welt der Bilder hinterlassen hat, eine Seele verbirgt, von deren Existenz kaum einer wusste. Ich zitiere: "Eine schöne Seele, die von der Populärpsychologie wohl als "neurotisch" bezeichnet würde, so wie alle als neurotisch bezeichnet werden, die zu viel denken, zu viel lieben, zu viel fühlen."(S.18)

Tabucci hält weiter fest, dass das vorliegende Buch mit den vielen, bislang unveröffentlichten Dokumenten die Komplexität der Seele hinter dem Bild offenbart. Dieser Meinung stimme ich absolut zu.

Das Buch enthält private Aufzeichungen aus dem Jahre 1943. Hier schreibt sie u.a. "Es ist kein Vergnügen, sich selbst gut zu kennen oder es jedenfalls zu denken- jeder braucht ein bisschen Einbildung, um um an und um den Abgrund zu kommen." So schreibt dieses gerade einmal 17 jährige Mädchen, das sehr nachdenklich ist und so gar nicht dem Bild entsprechen will, dass man später von ihr zeichnet.

Marilyn in ein typischer Zwilling, das wird in jeder Zeile deutlich. Im Gegensatz zu Tabucchi glaube ich nicht, dass diese Frau ein Schmetterling sein wollte, sondern, dass sie aufgrund ihres Sternzeichens einer war und zwar einer mit zwei Seelen in ihrer Brust, deren eine Seele ein lyrisches Ich beherbergte.

Ich habe ihre Texte aus unterschiedlichen Jahren gelesen und mich amüsiert, wie sie ihre Schreibfehler berichtigt, indem sie die verunglückten Wörter durchstreicht und neu schreibt. Sie ist auch hier ein typischer Zwilling, zu schnell in ihren Gedanken und deshalb etwas unkonzentriert, wenn es darum geht, orthografisch fehlerfrei den Gedanken in Worte umzusetzen. Sie schreibt und hat bereits den nächsten kreativen Einfall und schon hat die Feder sich an einem Buchstaben verheddert.

Bei den Aufzeichnungen von 1955 finde ich folgendes Gedicht:

fühlen, was ich selbst
in mir fühle- Das heißt versuchen
mir bewusst zu machen
auch was ich in anderen spüre
mich nicht meiner Gefühle, Gedanken schämen-
oder Ideen
sie als das sehen, was
sie sind-
(S.83)

Sehr schöne Aufnahmen, die sie im Jahre 1953 ein Buch lesend und schreibend zeigen, visualisieren die Person, die sie auch war. Für Menschen, die nur in Schablonen denken, wird es schwierig sein zu verstehen, dass eine Frau schön und intellektuell zu gleich sein kann.

Man hat Gelegenheit einige ihrer Aufzeichnungen im Original kennenzulernen. Marilyn brachte in Druckbuchstaben ihre Gedanken zu Papier. Immer wieder sieht man sie auf Bildern lesen oder kommunizieren. Ihre Gedichte und Briefe machen deutlich, dass sie mit den geistvollen Männer, mit denen sie Liebesbeziehungen pflegte oder Affären hatte, intellektuell auf gleicher Augenhöhe stand. Neben ihren hohen geistigen Fähigkeiten besaß sie allerdings etwas, was diese Männer nicht in diesem Maße besaßen: Schönheit und Humor.

Ich wundere mich nicht, dass die Männer ihr zu Füßen lagen. Sie war eine Göttin und Mensch gewordene Traumfrau, von der sogar Truman Capote begeistert war.

Ein eindrucksvolles Buch. Sehr empfehlenswert.

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Rezension: Rosen - Die schönsten Gedichte

Dieses hübsche, kleine Gedichtsbändchen wird Rosenfreunde besonders erfreuen. Es enthält eine Vielzahl von Rosengedichten namhafter Lyriker, wie etwa Christian Morgenstern, Rainer Maria Rilke, Friedrich Hölderlin, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Nietzsche, Nikolaus Lenau, Novalis, Adelbert von Chamisso, Christian Friedrich Hebbel, Gottfried Ephraim Lessing, William Shakespeare, Johann Peter Hebel, und Clemens von Brenato.

Alle haben wunderschöne Rosengedichte verfasst und dabei nicht selten der Liebe gehuldigt. Es scheint mir fast undenkbar, dass Männer im Hier und Jetzt in der Lage sind, solche Rosenverse zu Papier zu bringen. Ihr Hang zu fragwürdiger Sachlichkeit hindert sie daran, von wilden oder süßen Rosen zu schreiben "Rosen, ihr blendenden/Balsam versendenen!/ Flatternde, schwebende,/Zweigleinbeflügelte,/ Knospenentsiegelte,/ Eilet zu blühn." Diesen Vers hat Goethe verfasst.

Alle Gedichte werden von zauberhaften Rosenfotografien begleitet. Eine besonders schöne Rose erblickte ich neben dem Gedicht von Christian Morgenstern mit dem Titel "Von den heimlichen Rosen". Es handelt sich bei dieser Rose um die Strauchrose "Rosenstadt Freising".


Das Gedicht, das mir am meisten gefällt, möchte ich hier wiedergeben:


Die Rosen von Saadi
Ich habe heute früh dir Rosen bringen wollen;
Doch mein Gürtel hat zu viele Rosen tragen sollen,
Dass die gespannten Knoten sie nicht halten wollten.

Die Knoten rissen. Und vom Wind gezogen,
Sind alle Rosen dem Meer zugeflogen,
So dass sie nimmer wiederkehren sollten.

Und rot und wie entflammt von ihnen schien das Meer
Heut Abend ist mein Gewand noch von ihren Düften
schwer.
Atme von mir den Balsam der Erinnerungen."
(Marceline Desbordes-Valmore (1786-1859)


Wenn ich einem Menschen, den ich einst geliebt habe, heute spontan einen Geburtagsgruß senden würde, würde ich wohl dieses Gedicht wählen. Allerdings verkneife ich mir solche Spontanitäten und sendet dann letztlich eher weniger aussagekräftige Botschaften. Weshalb? Keine Ahnung.:-))


Ein sehr schönes, inspirierendes Bändchen.

Rezension: Augenblicke in Goethes Garten

"Fühlst du nicht an meinen Liedern/Dass ich eins und doppelt bin? (Goethe)
Dieser Gedichtsband enthält Gedichte und kleine Prosatexte von Johann Wolfgang von Goethe, in welchen er Blumen, Bäume und Pflanzen, die Natur, die Jahreszeiten und einen Schmetterling zum Anlass nimmt, Gedanken in Sätze zu transformieren, die von schönen Fotos begleitet werden. Die Bilder zeigen u.a. einen Ast mit Ginkgoblättern, Maiglöcken, ein Veilchen, Rosen, Schlüsselblumen, ein Seerosenteich und andere Pflanzenmotive mehr.

Goethe sagt an einer Stelle, dass die Pflanze eigensinnigen Menschen gleiche, von denen man alles erhalten könne, wenn man sie ihrer Art nach beurteile. Ein guter Vergleich. In seinen Lebenserinnerungen hält er fest:"So können und Kräuter und Blumen der gemeinsten Art ein liebes Tagebuch bilden, weil nichts, was die Erinnerung eines glücklichen Momentes zurückruft, unbedeutend sein kann; und noch jetzt würde es mir schwer fallen, manches der gleichen, was mir aus verschiedenen Epochen übrig geblieben, als wertlos zu vertilgen, weil es mich unmittelbar in jene Zeiten versetzt, deren ich mich zwar mit Wehmut, doch nicht ungern erinnere."

Diese Sentenz erklärt, weshalb Goethe immer wieder Blumen in seine Verse einbindet. Das Gedicht "Die Metamorphose der Pflanze" kannte ich bislang noch nicht. Es ist m.E. eines der schönsten in diesem Bändchen, in dem natürlich "Gefunden" und Gingko Biloba" keineswegs fehlen.
Man erfährt, dass Goethe ein Rosenfreund war und hat die Gelegenheit in seinem Gedicht "Als Allerschönste bist du anerkannt.." zu lesen, wie sehr er die Rosen liebte.

Mein Lieblingsgedicht findet sich auf Seite 13 im Buch. Es gefällt mir deshalb, weil Goethe hier seine euphorische Liebe in berührender Weise zum Ausdruck bringt. Ich vermute Charlotte von Stein hat die Blumen nebst dem schönen Gedicht von ihm erhalten. Gewiss war sie zu Tränen gerührt.

Blumenstrauß

Der Strauß, den ich gepflücket,
Grüße Dich vieltausendmal!
Ich hab mich oft gebücket,
Ach, wohl eintausendmal,
Und ihn ans Herz gedrücket
Wie hunderttausendmal!
(Johann Wolfgang von Goethe)


Ein sehr schönes Büchlein.

Rezension: nocturne in E (Gebundene Ausgabe)

Dieses Büchlein enthält sehr nachdenkliche Gedichte des Lyrikers Reiner Kunze und farblich schöne Aquarelle des schwäbischen Malers Andreas Felger. Vom Frühwerk bis zu jüngsten Veröffentlichungen werden dem Leser Gedichte Kunzes entgegen gebracht. Die Aquarelle Felgers wurden zwischen 1996-2000 realisiert.

Sowohl die Gedichte als auch die Aquarelle haben die Musik zum Motiv. Felger verzichtet auf eine Nachahmung musikalischer Assoziationen, erfährt man im Vorwort. Kleine Dreieicke, Rechtecke und Kreise stellen die Töne dar. Sie schöpfen das gesamte Farbspektrum aus, lässt uns Kohler eingangs wissen und wagen Kontrast und gar Spannung. Das ist wohl wahr. Aus einer Grundfarbe entwickelten Fläche leuchten die bunten Töne keck hervor.

Die Verse habe ich gerne gelesen. Von Festen und Musik ist dort die Rede. Ein sehr kurzes Gedicht trägt die Überschrift "Ermutigung nach 200 Jahren"- Auf dem Heimweg von einem Orgelkonzert-. Kunze schreibt alle Wörter in den Versen klein, bis auf Eigennamen, wie Bach und Mozart und Chopin.

Ich erlaube mir das Gedicht "Nocturne in E" hier zu zitieren, weil es zum Nachdenken anregt:

Bei meinem weißen haar

und beim weiß in deinem:

Die zeit ist schon zu kurz

den mut zu verlieren

und das nichts musst du nicht fürchten

Und bis dahin

reicht den kleinen finger uns

Chopin.


Schöner kann man Chopin nicht huldigen.


Rezension:Mitten ins Licht: Gedichte und Aquarelle (Gebundene Ausgabe)

Dieses wundervolle Buch enthält 13 Abbildungen von Aquarellen des Künstlers Eberhard Münch. Diese Aquarelle befassen sich ebenso mit dem Thema "Licht", wie die ausgewählten Gedichte von Eva Strittmacher, Hilde Domin, Angelus Silesius, Ingeborg Bachmann, Hermann Hesse, Angela Hoffmann, John Henry Newmann, Doris Runge, Rudolf G. Binding, Andreas Gryphius, Johann Bobrowski, Paul Celan, Clemens Brentano, Josef Eger, Ernst Meister, Urs Martin Strub, Helena Janeczek, Rainer Maria Rilke, Volker von Törne, Alexander Puschkin, Oskar Loerke, René Char, Ludwig Uhland, Conrad Ferdinand Meyer, Marie Luise Kaschnitz, Rainer Kunze, Karl Kraus, Hans Carossa, Max Dauthendey, Manfred Hausmann, Rose Ausländer, Richard Dehmel, Günter Eich, Kurt Marti, Angnes Miegel und Karl Krolow.

Ausgewählt wurden die Gedichte von dem Publizisten Wilfrid Lutz, der auch das Vorwort geschrieben hat.


In diesem Vorwort befasst er sich mit dem Licht, das ja weitaus mehr ist als ein nur naturwissenschaftliches Phänomen. Lutz hält fest, dass das Licht als wesenhaftes Grundelement des Kosmos in seiner Hindeutung auf das Immaterielle, Göttliche und Transzendente eines der zentralen spirituellen und religiösen Ursymbole der Menschheit ist und als solches die reinste Verkörperung des Heilbringenden, Guten und des Lebens selbst darstellt.


Weiter erläutert Lutz, dass mit der allgemeinen Vorstellung, dass jedes menschliche Erkennen ein Erleuchtetwerden vom Licht der ewigen Idee sei, der Licht-Begriff zum ersten Mal dann in der griechischen Philosophie auch eine erkenntnistheoretische und ethische Dimension bekommen habe.


In der Folge erwähnt Lutz auch den christlichen Kirchenlehrer Aurelius Augustus (354-430 n. Chr.) Dieser lässt uns in seiner Illuminationstheorie wissen, dass vollkommene spirituelle Erkenntnis über die rationale Verstandeskraft hinaus erst noch die inspirative Erleuchtung durch ein höheres, göttlich-geistiges Licht erforderlich macht, ohne das der Mensch nicht zur Schau der letzten, absoluten Wahrheiten gelangen kann (vgl. S. 7).


Lutz skizziert die Lichtbetrachtungen der mittelalterlichen Mystiker und der Barockdichter, vergisst auch den Klassiker Goethe nicht, der sich in seinen naturwissenschaftlichen Schriften mit dem Phänomen des Lichtes auseinandersetzte, aber er erwähnt auch die lyrische Gestaltung der christlich-religiösen Lichtmetaphorik in der deutschen Romantik.


Obschon aufgrund der modernen Wissenschaft das Phänomen des Lichtes weitgehend entzaubert ist, sind die Lyriker noch immer von der ursprünglichen Symbolkraft des Lichtes überzeugt, wie einige der vorliegenden Gedichte deutlich machen.


Die Bilder Eberhard Münchs, der einst in Nürnberg an der Akademie der Bildenen Künste sein Studium absolviert hat, überzeugen durch Ihre Strahlkraft. Er lässt Blau- Gelb- Grün- und Rottöne ineinander fließen und schafft es auf subtile Art die Sogwirkung des Lichtes zu visualisieren. Der Betrachter fühlt sich magisch angezogen, möchte sich dem Licht immer mehr nähern und auf diese Weise mit den Bildern oder genauer mit dem Licht verschmelzen.




Rezension:der tiger am gelben fluss- Sylvia B.

Sylvia und ich sind seit acht Monaten sehr gut befreundet. Das jedoch hat nicht zur Folge, dass ich ihr Gefälligkeitsrezensionen schreibe. Das Gegenteil ist der Fall. Von allen Texten, die sie bislang geschrieben hat, mag ich den hier vorliegenden Lyrikband am liebsten, weil hier besonders deutlich sichtbar wird, dass sie einen Gedanken oder eine Geschichte in wenige eindringliche Sätze zu komprimieren in der Lage ist. Das ist gewiss nicht einfach.

Die Gedichte bezeichnet sie als lyrische Prosatexte. Sylvias hochintellektuelle Begabung macht es möglich, bemerkenswert minimalistisch in ihrem Schreibhandwerk vorzugehen. In diesem Punkt erstaunt sie mich immer wieder. Nichts wirkt gekünstelt. Sylvia spricht wie sie schreibt und sie tut es nicht selten mit einem geradezu atemberaubenden Tempo.


Der Lyrikband enthält viele hübsche Illustrationen der münsterländer Künstlerin. Das Bild, das ein geöffnetes Eingangstor zum Motiv hat, mag ich besonders, weil es einen Blick ins Innenleben Sylvias zulässt. Trotz vieler schmerzlicher Erfahrungen dieser alten Seele, blühen in ihrem Seelengarten farbenprächtige Blumen. Ob es Rosen oder Bougainvilliablüten sind, bleibt der Fantasie des Betrachters überlassen.

Sylvias Gedichte sind immer sehr nachdenklich, spiegeln nicht selten ihre Erfahrungen wieder, setzen sich mit ihren Gefühlen auseinander und zeigen, dass sie eine der Erotik nicht abgeneigte, disziplinierte Kämpferin ist.

In meinen Musikblog habe ich ihr Gedicht eingebunden, in dem sie ihr ganzes Selbstbewusstsein zum Ausdruck bringt. Es ist das Selbstbewusstsein einer Seiltänzerin, das sie in ihrem subtilen Sinn für Erotik am Rande eines glühenden Vulkans auslebt.


In einigen Gedichten brilliert die Lyrikerin mit Wortwitz, in anderen mit antiken Anleihen. Das Gedicht von Pyrrhus können Sie hier in meinem Gedichtsblog, und jenes von Psyche im Gedankenblog nachlesen.

Wie in jedem Gedichtsband gibt es stärkere und wenige starke Texte. Bei Sylvia überwiegen die stärkeren Texte. Zwei ihrer wunderschönen Liebesgedichte finden sie ebenfalls auf meinen Blogs.

Ein weiteres Gedicht möchte ich jetzt vorstellen. Das Gefühl, das Sylvia hier in Worte gießt, werden viele Leser kennen. Dass es immer einen Ausweg aus diesem unerquicklichen Gefühl gibt, weiß Sylvia sehr wohl und spielt während sie schreibt mit dem richtigen Gedanken, den umzusetzten ich jedem empfehlen möchte, der nicht länger unzufriedenes Königskind bleiben möchte.

als wir zusammen standen
und über
belanglose dinge sprachen
dachte ich bei mir
so müssen sich
die königskinder
gefühlt haben

die nicht zueinander
finden konnten

beide
standen am ufer
sahen sich traurig an
dazwischen
der tiefe fluss

Du bist auch
so weit entfernt von mir

und

zwischen uns
der fluss der belanglosen wörter


vielleicht
sollte ich

endlich

eine brücke
für uns bauen

Sehr empfehlenswert nicht nur für Freunde guter Lyrik.


PS: Klicken Sie hier zu Sylvia B.s Illustrationen


Rezension: Farbwunder (Gebundene Ausgabe)

Warum sinken
die Blüten nieder,
da doch die schimmernde Erde
sich mit dem Duft
des Himmels eint?
(Ki no Tomonori)

Dieser Kunstband ist dem immerwährenden Farbwunder des Frühlings gewidmet. Der 1935 auf der Schwäbischen Alb geborene Künstler Andreas Felger wartet im Buch mit Abbildungen einer Sammlung von Aquarellen auf, die wunderschöne Alb- und Bodensee-Impressionen in verschiedenen Stadien des Frühlings zeigen. Mediterrane Farben, unendlich viele Blau- und Grüntöne begeistern mich ebenso, wie die unzähligen Blumen und blühenden Bäume, die der Künstler mit kräftigen Pinselstrichen auf die Leinwand gebannt hat.

Nach einem Geleitwort von Rüdiger Görner darf man sich nicht nur der Frühlings-Motive Felgers erfreuen, sondern auch vieler Frühlingsgedichte und kleiner Prosatexte von Reinhold Schneider, Wolf Biermann, Hermann Hesse, Reiner Kunze, Richard Demel, Rainer Maria Rilke, Georg Britting, Robert Walser, Karl Krolow, Ingeborg Bachmann, Gisbert Kranz, Jochen Klepper, Günter Eich, Rose Ausländer, Jan Skácel, Else Lasker Schüler, Marie Luise Kaschnitz, Chaim Noll, Matsu Basho, Albrecht Goes, George Sand, Chigetsu, Otomo no Kuronushi, Rudolf Otto Wiemer, Mutsuhito, Elisabeth von Arnim, Hugo von Hofmannsthal, Cordilia Edvardson, Pablo Neruda, Henry von Heiseler, Johannes Bobrowski, Hans Magnus Enzensberger und anderen mehr.

Neben der Liebe, scheint der Frühling am meisten zur Poesie anzuregen. Das erste Grün, die Sonne, die Blumen, die Farbenpracht werden in besonders vielen Texten thematisiert. Ein zauberhaftes Bild mit Kirschblütenmotiv wird von einem Gedicht Chigetsus begleitet: "Wenn ihr nicht wäret,/lichtdurchschienene Kirschblüten,/warum sollte ich noch leben?/

Ich kannte bislang keine Gedichte von Asiaten, aber es sind gerade deren höchst sensible Betrachtungen, mit denen ich mich am intensivsten anfreunden kann. Diese Gedichte sind immer sehr kurz, doch dafür ungeheuer aussagekräftig: Wenn der Blütenschimmer/der Kirschbäume auf den Hügeln/ länger währte/als ein paar Tage,/ wie würden ihn so innig nicht lieben /(Yamabe no Akahito).

Das Buch ist ein Traum.

Rezension:Lied der Liebe (Gebundene Ausgabe)

Derzeit befasse ich mich intensiv mit den Arbeiten des Künstlers Andreas Felger, in dessen Farb- und Formgebung ich mich vor wenigen Wochen spontan verliebt habe. Der 1935 auf der Schwäbischen Alb geborene Maler begeistert mich seiner mediterranen Farbgebung wegen und seiner Liebe zur Poesie, von der er sich immer wieder bei der Auswahl seiner Motive anregen lässt.

Im vorliegenden Buch sind eine Reihe wunderschöner Aquarelle- meditative Abstraktionen- von ihm abgelichtet, die eine freie assoziative Nähe zum Hohelied von Salomon herstellen. Das Hohelied liegt hier in einer Übersetzung des Österreichers Josef Dirnbeck vor. Es handelt sich dabei um die beste Übersetzung, die bisher kennen gelernt habe. Dirnbeck hat es geschafft, die Verse so zu übersetzen, dass man den poetischen Anspruch Salomons und seinen Sinn für subtile Erotik mehr als nur zu erahnen vermag.

"Salomons Sammlung der Lieder der Liebe" ist sehr schön untergliedert. Oliver Kohler nennt in seinem Vorwort die Sprachbilder zu Recht "Perlen einer Kette". Weil die Liebe nicht nur den Raum der Wörter bewohnt, sondern auch jenseits der Sprache in Stimmungen gestaltet, sind die Aquarelle zum Hohelied genau in dieser Sphäre angesiedelt (vgl.: S. 8). Das Hohelied selbst hat bis heute eine nachhaltige Wirkung auf die Geistesgeschichte und die Kunst. So haben viele jüdische Autorinnen und Autoren deutscher Sprache Fragmente des Hohenliedes eingewoben (vgl.: S. 9). Kohler verweist auf Verse von Cordelia Edvardson, Erich Fried und Paul Celan.

Die Lieder sind ein wundervoller Dialog zwischen zwei Liebenden, die sich in ihren Gefühlen vollkommen spiegeln.
Sehr berührend sind die nicht zuletzt folgende Verszeilen aus dem "Lied des Gartens":

"ER: ....
Du bist die Quelle im Garten
der Brunnen lebendigen Wassers
mit Wasser vom Libanon.

Sie:
"Nordwind und Südwind
fächelt den Balsamduft
in meinen Garten.

Komm nun, mein Freund,
dein Garten ruft dich;
Komm nun und iss
von den köstlichen Früchten!"

Das ist Gleichklang, aber auch subtile Verführung, die in einer lobenswert, poetischen Sprache dargebracht werden.

Auf meinem Rezensionsblog finden Sie unter der Rezension noch eine weitere Textstelle, die Felger nicht grundlos in ein vollständig rotes Aquarell umgesetzt hat.

Rezension: Lieber Engel ich bin ganz dein: Goethes schönste an Frauen

Goethes Briefwerk stellt ein Teil seines Schaffens dar. Nahezu 14000 Briefe haben sich erhalten. Die meisten, die er Frauen schrieb, sind verloren gegangen bzw. vernichtet worden. Angelika Maas zu Folge ist nichts erhalten geblieben von dem, was Goethe nach den Studienjahren in Leipzig seiner Schwester Cornelia geschrieben hat. Nicht mehr existent sind die Briefe an die geliebte Freundin in Sesenheim, Friederike Brion, die Briefe und Zettelchen an seine schöne. Das Taschenbuch stellt die einzelnen Damen im Rahmen von Kurzbiographien vor und zeigt in welcher Beziehung sie zu Goethe gestanden haben.

Zu lesen sind u.a. Briefe an seine Mutter und an seine Schwester, auch solche an die Schriftstellerinnen Sophie von La Roche und Bettina Brentano, sowie wenige Zeilen, die er an seine Jugendlieben Käthchen Schönkopf, Friederike Brion und Lili Schönemann verfasste, der er 1807 schrieb, dass er in Erinnerung an jene Tage, "die ich unter die glücklichsten meines Lebens zähle", tausendmal ihre Hand küsse.

Briefe an Caroline Herder, Charlotte von Schiller, Marianne von Willemer auch jene an seine Schwiegertochter Ottilie von Goethe zeichnen sich durch eine hohe intellektuelle Akzeptanz aus, die er seiner Ehefrau Christiane von Goethe nicht zubilligt. Hier steigt der Gott aus Weimar vom geistigen Olymp herab und wird ganz Mensch. Liebevoll wendet er sich an Christiane, die zwar Mutter seiner Kinder, aber schließlich doch nur sein bloßer Bettschatz bleibt. Das liest sich, wie folgt."...du weißt, das ich dich herzlich lieb habe. Wärst du nur jetzt bei mir! Was sind überall große breite Betten und du solltest dich nicht beklagen, wie es manchmal zu Hause geschieht. Ach! Mein Liebchen! Es ist nichts besser als beisammen zu sein."

Ganz anders jedoch lesen sich die Briefe an Goethes Herzen-Du Charlotte von Stein: "Du wirst geliebt wie du es wünschst, und ich kann allein in dir finden, was ich mein ganzes Herz durchgewünscht habe, das wirst du recht lebendig an der Erzählung vernehmen, die ich dir von dieser Reise mache..." "...meine Seele ist fest an die deine angewachsen, ich mag keine Worte machen, du weißt dass ich dir unzertrennlich bin und dass weder hohes noch tiefes mich zu scheiden vermag."

"Sag mir, wie du dich befindest und ob du mit mir einig bist. Es thut mir nichts weher als wenn wir uns einen Augenblick missverstehen, als wenn mein Wesen an deines falsch anschlägt, mit oder ohne meine Schuld." Sechs Jahre vor seinem Tod schreibt er Charlotte "Neigung aber und Liebe unmittelbar nachbarlich- angeschlossener Lebender, durch so viele Zeiten sich erhalten zu sehen, ist das Allerhöchste, was dem Menschen gewährt sein kann."

Sehr zu empfehlen!


Rezension: Aus der Kölner Bucht: Gedichte (suhrkamp taschenbuch) (Taschenbuch)

Der Lyriker Jürgen Becker wurde 1932 in Köln geboren. Die Gedichte des vorliegenden Büchleins hat Becker in den letzten vier Jahrzehnten verfasst. Wie Becker im Vorwort erwähnt, kommen in den meisten Versen Namen von Gegenden und Orten vor, die in der Kölner Bucht oder an deren Rändern liegen. Diese so genannte Kölner Bucht erstreckt sich um Köln herum, zwischen Bonn, Leverkusen und gewiss auch noch Düsseldorf, so der Dichter. Becker unterstreicht, dass in den Gedichten des vorliegenden Bandes die Kölner Bucht "mit spricht", indem ihr Monströses, ihre beschädigte Schönheit, ihr Reichtum an Widersprüchen, an Bildern und gleichbleibenden Geräuschen, eine nicht nachlassende Faszination zu Wort kommen (vgl.: S. 10).

Die Gedichte sind von sehr unterschiedlicher Länge und haben nicht selten etwas Bedrückendes. Die beschädigte Schönheit erahnt man besonders in dem kleinen Gedicht "Gegend mit Stadtautobahn": "damals, die Amsel in der Machabäerstraße/ morgens um fünf, und/ die lebendigen Ruinen der Altstadt,/ein Regen, grau wie der Mai jetzt/"

Die Titel der Gedichte lassen bereits erahnen, worum es geht: "Am Strand von Rodenkirchen", "Der März in der Luft des Hochhauses", "Autobahnring", "Zeitzeugen" und dergleichen mehr.

Mir hat ein Vierzeiler sehr gut gefallen, der etwas über den Sinn von Ritualen und über Vergänglichkeit aussagt.

Sommer, siebziger Jahre

Die Pflaumen hängen noch fest
und die alte Frau geht
ins Haus zurück, wo sie das Bild,
August 44, des Sohnes zurechtrückt.
(Jürgen Becker)

Was geschah im Sommer 44? War dieser Sohn ein Nazi? Ein Soldat, der im Krieg fiel? Ein Widerstandskämpfer, den man im Sommer 44 hinrichtete? Ein Jude, der in Ausschwitz vergast wurde? Warum denkt man sofort, dass der Sohn nicht mehr lebt? Weil das Gedicht keinen anderen Schluss zulässt? Anfang August hängen die Pflaumen noch fest. Die alte Frau erinnert sich an den Sommer 44 als ihr Sohn noch lebt.... Das Zurechtrücken des Bildes ist ein Versuch, etwas gerade zu rücken, was in die Schieflage kam. Die Mutter kann nicht helfen, auch wenn sie jedes Jahr, wenn die Pflaumen noch nicht fallen wollen, das Ritual wiederholt.