
Die Gedichte sind von sehr unterschiedlicher Länge und haben nicht selten etwas Bedrückendes. Die beschädigte Schönheit erahnt man besonders in dem kleinen Gedicht "Gegend mit Stadtautobahn": "damals, die Amsel in der Machabäerstraße/ morgens um fünf, und/ die lebendigen Ruinen der Altstadt,/ein Regen, grau wie der Mai jetzt/"
Die Titel der Gedichte lassen bereits erahnen, worum es geht: "Am Strand von Rodenkirchen", "Der März in der Luft des Hochhauses", "Autobahnring", "Zeitzeugen" und dergleichen mehr.
Mir hat ein Vierzeiler sehr gut gefallen, der etwas über den Sinn von Ritualen und über Vergänglichkeit aussagt.
Sommer, siebziger Jahre
Die Pflaumen hängen noch fest
und die alte Frau geht
ins Haus zurück, wo sie das Bild,
August 44, des Sohnes zurechtrückt.
(Jürgen Becker)
Was geschah im Sommer 44? War dieser Sohn ein Nazi? Ein Soldat, der im Krieg fiel? Ein Widerstandskämpfer, den man im Sommer 44 hinrichtete? Ein Jude, der in Ausschwitz vergast wurde? Warum denkt man sofort, dass der Sohn nicht mehr lebt? Weil das Gedicht keinen anderen Schluss zulässt? Anfang August hängen die Pflaumen noch fest. Die alte Frau erinnert sich an den Sommer 44 als ihr Sohn noch lebt.... Das Zurechtrücken des Bildes ist ein Versuch, etwas gerade zu rücken, was in die Schieflage kam. Die Mutter kann nicht helfen, auch wenn sie jedes Jahr, wenn die Pflaumen noch nicht fallen wollen, das Ritual wiederholt.
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