Andrea Engen lässt den Leser im Klappentext dieses auch optisch gelungenen Gedichtsbandes wissen, dass sie seit ihrem 19. Lebensjahr ihre Gedanken aufnotiert. Im Alter von 52 Jahren litt sie an Liebeskummer und schrieb "extrem und viel", wie sie sagt. Engen nahm ihre alten Aufzeichnungen zu diesem Zeitpunkt zur Hand, überarbeitete das Ein oder Andere, es entstand allerdings auch Neues und so kam es zu diesem Büchlein, das mit einer fragenden Sentenz Kurt Tucholskys beginnt: "Muss denn immer gleich von Liebe die Rede sein?"
Eine gute Frage, die ich immer mit einem Ja beantworten würde. Liebe sollte in jeder Begegnung mit einem neuen Menschen mitschwingen. Allerdings bedingt sie nicht immer ein erotisches Verhältnis und begründet schon gar nicht Besitzansprüche. Man sollte sie, in ihren unterschiedlichen Facetten stets zulassen, weil sie die Kommunikation mit unseren Gegenübern einfach schöner gestaltet.
Engens Texte berühren mich. Es ist die Poesie einer reifen Frau, die es nicht verlernt hat, intensiv zu fühlen. Von ihren alten Texten hat sie offenbar jene gewählt, zu denen sie heute noch steht. Mir ist es nicht möglich auszuloten, in welchem Alter Engen den jeweiligen Texte verfasst hat. Die Seele hat ihre eigene Sprache. Bei vielen Menschen ist sie bis ins hohe Alter unreif, bei Engen ist das Gegenteil der Fall.
Eines der schönsten Gedichte ist m.E. dieses:
Lächeln
Als ich den Hörer auflegte
Als ich dann allein war
Als ich mich erinnerte
Als ich dem Mond zugelächelt habe
Als ich mich erinnerte
Als ich dem Mond zugelächelt habe
Als ich nachfühlte
Als ich mich dann sehnte
Als ich also vermisste
Habe ich gelächelt.
Es gibt nur wenige junge Frauen, die zu einer solchen Selbstbeobachtung fähig sind, wenn sie Schmetterlinge im Bauch haben. Man benötigt Reife, um die eigene Emotion mit einem beinahe amüsierten Abstand zu betrachten und ein gerütteltes Maß an Selbstbewusstsein, wenn man ein Gedicht veröffentlicht, das mit den Zeilen beginnt:"Du warst auf der Durchreise/Ich in den Wechseljahren/Als wir uns das erste Mal trafen/...
Engen ist eine Frau, das geht aus all ihren inhaltlich und sprachlich schönen Texten hervor, die nicht aufgehört hat, den Moment zu genießen, die das Küssen nicht verlernt hat, trotz ihrer 53 Lenze, die immer noch mit und ohne Herzens-Du auf einem alten Parkett tanzt und die -wiederum amüsiert-, sich ihrer Lust erinnert während einer Nacht mit einem offenbar wesentlich jüngeren Mann: "Du hast mich einfach so geküsst/Hotelflurteppichboden schluckte Zweifel/Und den Altersunterschied/Dein Lachen- so frech, so jung/Ich erinnerte mich wieder an meine Lust/In dieser Nacht/..."
Neben den Texten gefallen mir auch die schönen Fotos, die von einer Frau erzählen, die den erotischen Moment zu schätzen weiß und die das Lieben nicht verlernt hat.
Empfehlenswert.
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