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Rezension : Briefe bewegen die Welt

Bauchschmerzen habe ich immer dann, wenn ich Briefe von Menschen lese, die nicht an mich gerichtet sind. Selbst wenn solche Briefe einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, habe ich stets den Eindruck in die Privatsphäre von Menschen einzudringen, deren Zustimmung ich dazu nicht erhalten habe. Beim vorliegenden Buch war die intellektuelle Neugierde stärker als meine Vorbehalte. Meine Exkulpationsversuche wollten natürlich nicht greifen: "Wenn Karasek seine Neugierde auslebt, dann darf ich das auch." Nein, dann darf ich es noch lange nicht. Ich darf es nur, wenn mein Gewissen sein Einverständnis dazu gibt. Das ist allerdings nicht geschehen. Ich habe mich über mein Gewissen hinweg gesetzt, weil die abgedruckten Briefe und die Hintergrundinformationen von Hans Pöllmann und Sonja Wild mich einfach zu sehr interessieren, als dass ich meinen Grundsätzen treu bleiben könnte. Also halte ich es mit Oscar Wilde: "Mir sind Menschen lieber als Grundsätze und grundsatzlose Menschen überhaupt das Liebste auf Erden." Wie schön, Oscar Wilde mag mich ob meiner Handlungsweise. Alles ist gut.:-))

Dieses Buch enthält insgesamt 30 Briefe, mittels denen Hellmuth Karasek, er hat sie herausgegeben, bezweckt, das Leben zu zeigen.


Dem Klappentext ist zu entnehmen, dass die Briefe als hochwertige Faksimiles abgedruckt und in Druckschrift wiedergegeben sind. Man hat sie zeitgeschichtlich eingeordnet und um die Lebensläufe und Porträtbilder der Briefeschreiber und Empfänger ergänzt.

Das Vorwort hat Jürgen Gerdes, der Konzernvorstand Brief Deutsche Post DHL verfasst. Die Einleitung stammt von Hellmuth Karasek, der über den tieferen Sinn von Briefen nachdenkt und zunächst vom wohl ältesten Brief des Welt schreibt, einem 2,8 Zentimeter messenden, ein Zentimeter dicken Fragment, das etwa 3400 Jahre alt ist. Karasek weiß, dass derjenige, der an Briefe denkt, zuerst Liebesbriefe im Sinn hat, Dokumente der Vertraulichkeit und der Freundschaft, die weite Strecken überwinden müssen. Briefe dienen, so der Literaturkritiker, dem Fernverkehr, "sie überbrücken Distanz und sie schaffen Distanz", (vgl: S. 9 u.10).

Die Briefe im Buch sind von ihrem Wesen her ganz unterschiedlich. Der Briefwechsel zwischen Konrad Adenauer und Theodor Heuss aus dem Jahre 1952 ist gesellschaftspolitischer Natur. Es geht um die National-Hymne.


Otto von Bismark bittet Heinrich von Puttkammer um die Hand seiner Tochter. Wie man erfährt soll der Brautvater zögerlich reagiert haben. Doch schließlich wurde das Edelfräulein von Puttkammer seine Frau. Bismarck soll wegen seiner Ehe viele Eskapaden gehabt haben, die von Johanna geduldet wurden. Diese Hintergrundinformation verdeutlicht mir mal wieder, wie sehr sich die Gefühle von Menschen ändern können und das nichts im Leben von Bestand ist.

Es ist unmöglich im Rahmen der Rezension alle Briefe zu beleuchten, obschon es eine interessante Aufgabe wäre. Der Brief, den Friedrich der Große an Voltaire schrieb, ist in französischer Sprache und in der deutschen Übersetzung abgedruckt. Wie man liest, soll die Brieffreundschaft der beiden besser als die persönliche Beziehung gewesen sein.

Sophie Scholl schreibt ihrem Verlobten am 16.2.1943, sechs Tage vor ihrem Tod einen kleinen Brief, der so hoffnungvoll endet: "Vielleicht können wir bald zusammen irgendwo anfangen". In den Erläuterungen zum Brief liest man "Die Studentin der Biologie und Philosophie mit kaum Lebenserfahrung hatte gewusst, sie hatte 1943 alles gewusst. Ihr Beispiel zeigt: Holocaust und Kriegsverbrechen fanden nicht im Verborgenen statt."

Der Kulturphilosoph Walter Benjamin schreibt am 2.8. 1940 an "seinen lieben Teddie", gemeint ist Theodor W. Adorno aus Lourdes: "Ich bin verurteilt, jede Zeitung (..) wie eine an mich ergangene Zustellung zu lesen und aus jeder Radiosendung eine Stimme des Unglücksboten herauszuhören." Der Briefeschreiber war Opfer des Nationalsozialismus. Adorno war einer der wenigen, die das Potenzial des Denkers erfasst haben.

Sigmund Freud schreibt an den Arzt Wilhelm Fleiss, über den man im Kurzporträt Näheres erfährt, einen kleinen Brief am 15.10.1895, der beinahe wie eine Notiz anmutet. Er macht in der Notiz deutlich, dass der Mensch bereits vor der Pubertät ein sexuelles Wesen ist.

Es ist unmöglich all die Briefeschreiber zu benennen. Goethe schreibt an Schiller am 6. Januar 1798. Wie man in den Erläuterungen erfährt, haben sich die beiden Dichterfürsten gut 1000 Briefe geschrieben. Dass ohne ihre Freundschaft, die in weiten Teilen eine Brieffreundschaft war, die Weimarer Klassik nicht hätte entstehen können, ist jedem klar, der sich mit der Geschichte Weimars befasst hat.

Mir gefällt der Brief Thomas Gottschalks an Marcel Reich-Ranicki vom 7.11.1999, der sehr charmant, witzig und herzlich verfasst ist. Der Briefempfänger hat gewiss seine Freude daran gehabt.

Am meisten berührt hat mich der Brief, den Gunter Sachs an Axel Cäsar Springer schrieb. Dieser Brief, der mit den Worten endet "Herr Springer wir sind uns selten begegnet; ich möchte sie nie mehr wiedersehen", bestätigt mir, dass Gunter Sachs ein Mann mit Rückgrat ist, der es durch seine Haltung schaffte, dass bei der "Bild" ein gewisses Umdenken einsetzte.

Ich möchte es bei dem Brief von Gunter Sachs belassen, obschon alle Briefschreiber es verdienen, erwähnt zu werden. Lange habe ich das beigefügte Foto dieses Mannes angesehen, der eine Aura besitzt, die ich selten in dieser Ausprägung an Menschen wahrgenommen habe. Gunther Sachs ist ein wirklich freier Mann. Kein Blender. Er strahlt Freiheit und Offenheit aus. Nichts an ihm ist aufgesetzt. Solch ein Mann lässt sich von der Presse nicht verschrecken. Er zeigte Flagge. Diesem Menschen gilt mein Respekt.

Ein sehr schönes, hochinformatives Buch. Karasek ist es wirklich gelungen das Leben mit seinen Höhen und Tiefen durch die 30 Briefe aufzuzeigen. Bravo.

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